Der Mülheimer Journalist Dr. Thomas Emons hat nach der Tagung der Dialog-Offensive Pflege am 12.12.2018 mit Bodo Keissner-Hesse, Christian Pälmke, Jörg Marx und Dirk Hempel gesprochen und in den Mülheimer WAZ- und NRZ-Ausgaben am 17.12.2018 berichtet, hier der Originaltext:
13.000 Stellen für die Altenpflege. Das hat der Bundestag mit seinem Sofortprogramm Pflege beschlossen. „Der Beschluss ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber weitere müssen folgen“, sagt Bodo Keissner-Hesse. Der 60-jährige Leiter der Bildungsakademie für Gesundheits- und Sozialberufe im Kreis Mettmann ist gelernter Altenpfleger und einer von 75 Pflegepraktikern, die auf Einladung der örtlichen Dialog-Offensive Pflege und des Angehörigenvereins Wir pflegen im Altenhof darüber diskutieren wie man Pflege in Zeiten des Fachkräftemangels menschenwürdig und bezahlbar gestalten kann. „76 Prozent der 3,3 Millionen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden durchschnittlich 43 Stunden pro Woche von ihren Angehörigen zuhause gepflegt“, beschreibt der Landesvorsitzende von Wir pflegen, Christian Pälmke die soziale Wirklichkeit in unserer alternden und zunehmend pflegebedürftigen Gesellschaft.
Für Pälmke, der die politischen Interessen der pflegenden Angehörigen auch in Berlin vertritt, steht außer Frage, dass Deutschland von den Niederlanden und den skandinavischen Ländern lernen muss, die erheblich mehr Steuergelder in die Pflege fließen lassen. „Wir brauchen eine Pflegevollversicherung, vergleichbar der gesetzlichen Krankenversicherung und Lohnersatzleistungen für pflegende Angehörige“, betont Christian Pälmke. Er weist darauf hin, dass der pflegepolitische Status quo die pflegenden Angehörigen, die der Allgemeinheit immense Kosten für stationäre und ambulante Pflege ersparen und damit auch die Folgen des Fachkräftemangels dämpfen, selbst zur Altersarmut verurteilt sind, wenn sie ihren Beruf aufgrund der Familienpflege einschränken oder sogar aufgeben müssen.
„Vielleicht müssen einfach mal alle Pflegenden und Pflegebedürftigen auf die Straße gehen, um die Herausforderung der Altenpflege öffentlich sichtbar zu machen und so auch politischen Druck für notwendige Verbesserungen zu machen“, sagt der städtische Sozialplaner Jörg Marx, der den Fachtag zusammen mit Pälmke moderiert. Der Atem stockt Marx, als er von einer angehenden Altenpflegefachkraft zu hören bekommt, in ihrem Freundeskreis werde immer wieder gesagt: „Ach, du machst Altenpflege. Die nehmen ja jetzt jeden!“ Bodo Keissner-Hesse, der sein Berufsleben in der Altenpflege mit 17 begonnen hat, hält mit seiner Berufsbiografie dagegen. „Ich habe meine Berufswahl nie bereut, weil ich in meinem Beruf sehr viel Dankbarkeit und Sinn, aber auch sehr viel Abwechslung erleben konnte, in dem ich nicht nur gepflegt, betreut und beraten, sondern auch geleitet und gelehrt habe.“
Auch wenn Keissner-Hesse die oft schwierigen und belastenden Arbeitsbedingungen in seinem Beruf nicht schön reden will, warnt er davor, die vielen interessierten und motivierten Menschen in der Altenpflege und ihre potenziellen jungen Kollegen mit negativen Zerrbildern des Altenpflegeberufs abzuschrecken. Der Ausbilder sagt in diesem Zusammenhang, dass die gefragten jungen Altenpflegekräfte während ihrer dreijährigen Ausbildung monatlich 1100 bis 1300 Euro und nach einem erfolgreichen Examen 2700 Euro als monatliches Brutto-Einstiegsgehalt verdienen können. Das aus seiner Sicht überfällige Inkrafttreten eines Flächentarifvertrages ist für ihn nur noch eine Frage der Zeit.
„Mir hat die Veranstaltung gezeigt wie wichtig es ist, dass sich die pflegenden und pflegebedürftigen Menschen miteinander vernetzen und austauschen und dass unsere Ideen und Vorschläge jetzt auch in die kommunale Sozial- und Pflegeplanung einfließen und nicht versanden“, sagt Seniorenberater Dirk Hempel, der sich um seine pflegebedürftige Ehefrau kümmert.
„Alle Ergebnisse unseres Fachtages werden dokumentiert und in einer redaktionell überarbeiteten Vorlage im kommenden Mai der kommunalen Pflegekonferenz und anschließend dem Sozialausschuss und dem Seniorenbeirat vorgelegt, um sie in die praktische Pflegearbeit in Mülheim einfließen zu lassen“, unterstreicht Sozialplaner Jörg Marx. Ein angehender Altenpfleger bringt die Herausforderung, vor der wir als Gesellschaft im demografischen Wandel stehen auf den Punkt, in dem er auf seinen Stichwortzettel für die Ideen-Pinwand schreibt: „Ich will pflegen wie ich gepflegt werden möchte.“ (T.E.)